Reichelsheimer Nachrichten

Meldung vom 05.03.2024

Reichelsheimer Klimabrief: Bäume, Hecken und Brachen gehören zum Rückgrat einer gesunden Landwirtschaft

Mit dem 'Reichelsheimer Klimabrief' wollen die GRÜNEN Reichelsheim das Bewusstsein für die Erderwärmung und den Klimawandel speziell in der Stadt Reichelsheim stärken und mit interessierten Mitbürgern in die Diskussion gehen. Feedback nehmen die GRÜNEN gerne unter gruene-reichelsheim@web.de entgegen.

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Von Merlin Fleischhauer

Durch die Agrarpolitik, die sich die Landwirte nun erstritten haben, werden am Ende alle verlieren: Verbraucher, Natur, Klima und Landwirte selbst. Die Ampelkoalition hat ja nun ihre Kürzungspläne schneller halbiert, als ein Traktor wenden kann. Unter dem grünen Landwirtschaftsminister Özdemir fällt auch der Artenschutz nun quasi weg.

Alle möglichen Umweltpflichten werden nun gelockert. Auf den Feldern haben die Landwirte gerade wenig zu tun. Stattdessen fahren sie nun in den Städten ihre Ernte ein. Diese Ernte scheint reich, doch der politischen Sieg der Bauern ist in Wahrheit kein Erfolg. So die "Erleichterungen" beim Artenschutz. Nun müssen die Bauern vorerst nicht mehr Hecken einrichten und Brachen begrünen, um Agrarsubventionen zu erhalten. Selbst der letzte Quadratmeter Boden darf jetzt noch irgendwie ausgebeutet werden. Dummerweise sind diese Hecken und Brachen aber die letzten Rückzugsorte für Feldvögel, Insekten und Ackerpflanzen. Jedes Teil in diesem ökologischen Geflecht hat aber auch für Landwirte einen Zweck, vom Einzeller zum Wurm, bis zum Insekt, für Boden oder Bestäubung. Fehlen diese aber, werden vielerlei technische und chemische Waffen aufgefahren. Und da das der Natur weiter schadet, braucht es wieder neue Waffen und neue Züchtungen - ein Teufelskreis. Währenddessen stirbt die Artenvielfalt einen stillen Tod. Kein Landwirt kann das wollen. Eigentlich war man in den Sechzigern mit dem Erscheinen von Rachel Carsons Buch 'Stummer Frühling' bereits ausreichend gewarnt, doch die Warnungen scheinen noch immer einfach zu verhallen.

Bürokratieabbau bedeutet in der Landwirtschaft ergo einen Abbau der so notwendigen Umweltauflagen. Natürlich gibt es jede Menge unnötige Subventionsbürokratie und oft warten Landwirte lange auf ihr Geld. Doch unter dem Deckmantel Bürokratieabbau kommt nun der Generalangriff auf die Umweltauflagen, die ja an die Agrarsubventionen geknüpft sind. Wenn nun diese Standards geschliffen werden, mögen sich viele Landwirte freuen. Irrtümlich. Denn das Problem bleibt die Art, wie und wofür diese Agrarsubventionen verteilt werden - nämlich weiterhin und im Wesentlichen dumpf nach Größe: mehr Hektar, mehr Euros.

Dies nützt großen Betrieben mehr als kleinen, treibt die Pachtpreise in die Höhe. Viele Bauern mit eigenem Land streichen lieber die Pacht ein, statt noch selber zu ackern. Andere geben auf, weil sie sich die Pacht nicht mehr leisten können. Das Ergebnis nennt sich dann "Höfesterben". Und ausgerechnet die Proteste der Landwirte tragen dazu bei, dieses System weiter zu verfestigen. Oder zumindest die Proteste jener Landwirte, die sich auf den Straßen bemerkbar machen, denn nicht alle machen mit oder heißen das gut.

Die Lage vieler Betriebe ist nicht einfach. Mal schwanken die Preise im Handel, mal erpressen die Abnehmer die Landwirte, denn verderbliches Gut müssen sie ja schnell verkaufen. Vom Verbraucher über den Handel bis zu Molkerei und Schlachthof gilt 'Geiz ist geil'. Und am Ende dieser Kette stehen die Landwirte. Vom Markt gibt es wenig zu erwarten, denn der zwingt sie ja, noch das Allerletzte aus den Böden herauszupressen.

Und so kapituliert die Politik vor dem Unmut auf dem Land. Doch eigentlich liegt seit vielen Jahren ein Plan für eine bessere Agrarpolitik fertig vor. Entstanden unter CDU-Ägide. Eine Kommission mit Bauernverbänden und Umweltschützern war bei Erstellung mit am Tisch. Landwirte würden hernach für Leistungen entlohnt, die sie für die Allgemeinheit erbringen - weil sie ihre Tiere gesund halten oder Refugien schaffen, ohne die es Artenreichtum am Feldrain nicht geben kann. Weil sie Böden schonend bearbeiten und sie so düngen, dass das Grundwasser nicht vergüllt. Weil sie ihre Äcker mit Bäumen säumen und so einen Schatten schaffen, der in Zeiten der Erderhitzung immer wichtiger werden wird. Es fehlt weder an Ideen noch an Geld. Jedes Jahr werden rund sieben Milliarden Euro allein an die deutschen Landwirte verteilt. Es mangelt an Mut, das Geld anders zu verteilen als bisher.

Die Ampelkoalition hat sich aber dafür entschieden, den Landwirten lieber nicht mehr zu widersprechen. Sie hat sich noch nicht von dem Bauernzorn erholt, den sie mit ihrer Steuersparaktion rund um den Agrardiesel selbst losgetreten hat. Dabei gibt es nicht "die" Bauern. Viele von ihnen wären sogar dafür, würden sie mehr für das entlohnt, was sie für die Allgemeinheit leisten. Viele wollen raus aus dem Teufelskreis, jedoch haben sie das Feld den Schreihälsen überlassen, die dem Berufsstand keine Ehre machen. Es sägen also alle am eigenen Ast. Mit dieser vergifteten Ernte werden die Bauern große Teile der Gesellschaft verlieren und mit jedem Vogel, jedem Insekt und jeder Pflanze, die einer effizienteren Landwirtschaft Platz machen müssen, verschwindet auch ein Teil ihrer eigenen wirtschaftlichen Basis.

Umweltschützer sind schockiert über die Entscheidung der Bundesregierung, dass Landwirte ursprünglich für den Artenschutz vorgesehene Flächen bewirtschaften dürfen. Für viele Tiere und Pflanzen sind sie der letzte Rückzugsort gewesen. Bereits vergangenes Jahr kippte die Regelung, wonach Landwirte aus Gründen des Artenschutzes vier Prozent ihrer Ackerflächen brach liegen lassen sollen. Zunächst wegen des Ukraine-Kriegs - auf den Flächen sollte Getreide angebaut werden. Jetzt setzt die Bundesregierung die Regel abermals außer Kraft - diesmal um die wütenden Bauern zu besänftigen.

Das ist absolut verheerend, denn diese Flächen sind kein Luxus, den man sich leistet, wenn man keine anderen Probleme hat. Brachflächen sind elementar wichtig, um die Natur intakt zu halten. Die ursprünglich vorgesehenen vier Prozent sind ohnehin nur das absolute Minimum. Angemessen sind rund zehn Prozent.

Beim WWF sagt man, die Entscheidung sei ein Schlag für den Schutz der Artenvielfalt in unseren Agrarlandschaften und auch für die Landwirtschaft selbst, denn die Landwirtschaft ist auf artenreiche und somit stabile Ökosysteme angewiesen.

Brachflächen sind für die Artenvielfalt wichtig, weil sie als Rückzugsort für viele Tier- und Pflanzenarten dienen, von dem aus sie sich dann auch wieder ausbreiten können. Wildbienen oder ein Schmetterling wie der Schwalbenschwanz können ansonsten nicht überleben.

Der geschützte Schwalbenschwanz legt im Sommer seine Eier auf Wilde Möhren, eine Pflanze, die auf intensiv bewirtschafteten Äckern nicht vorkommt, weil sie durch den Einsatz von Pflanzengiften unterdrückt wird. Aus den Eiern schlüpfen Raupen, die sich von der Pflanze ernähren. Im Herbst verpuppen sich die Raupen, den Winter überdauern sie in abgestorbenen Pflanzenteilen. Deshalb ist es auch wichtig, dass Brachflächen und Blühstreifen nicht gepflügt werden, sondern mehrjährig sind. Nur wenn das alles zusammenpasst, schlüpfen dann im nächsten Frühjahr neue Schwalbenschwänze.

Das Thünen-Institut für Biodiversität in Braunschweig hat eine Studie über Brachflächen erarbeitet und Informationen über das Vorkommen 24 verschiedener Vogelarten in Deutschland ausgewertet, die in der Agrarlandschaft leben. Diese Informationen, die mithilfe vieler Freiwilliger gesammelt wurden, hat man mit statistischen Daten über Lage und Größe von Brachflächen kombiniert und konnte einen positiven Zusammenhang zwischen Artenreichtum und dem Vorkommen von Brachflächen aufzeigen.

Auch die praktische Erfahrung zeigt, dass viele Arten von Brachen profitieren. Bereits vor zwanzig Jahren gab es die Pflicht zur Flächenstilllegung von zehn Prozent der Ackerflächen. Der Regelung folgte ein sehr erfolgreicher - aber leider nur kurzfristiger Anstieg der Feldvogelbestände.

Gründe dafür, dass viele früher häufige Agrarlandarten selten geworden sind und ohne Brachflächen gar nicht mehr zurechtkommen, gibt es viele: Auf einem intensiv bewirtschafteten Feld finden die Vögel kein Futter - weder Insekten noch Samen. Außerdem fehlen dort besonders im Winter Verstecke. Viele Agrarlandarten sind Bodenbrüter. Der Nachwuchs hat aber nur auf unbewirtschafteten Flächen eine Überlebenschance. Eier oder Jungvögel werden früher oder später vom Traktor überrollt. Doch nicht nur Vögel, auch viele wichtige Bestäuber wie Hummeln oder andere Wildbienen, legen ihre Nester im Boden an. Deshalb sind auch sie auf Brachflächen angewiesen, um sich zu vermehren.

Die Vorgabe der EU, dass die Landwirte auf den ursprünglich für den Artenschutz vorgesehenen Flächen nicht anbauen dürfen, was sie wollen, sondern unter anderem stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen pflanzen sollen, macht die Entscheidung nicht besser. Zwargelten diese Hülsenfrüchte als umweltfreundlich, weil sie verglichen mit Mais oder Getreide weniger Wasser benötigen. Außerdem binden sie Stickstoff aus der Luft und müssen deshalb weniger gedüngt werden. Jedoch für Tiere und Pflanzen und damit für die Artenvielfalt macht das keinen Unterschied. Mit einem Schwalbenschwanz oder einer Wildbiene kann man nicht verhandeln.


Quellen:
  • Associations between farmland birds and fallow area at large scales: Consistently positive over three periods of the EU Common Agricultural Policy but moderated by landscape complexity - Hertzog - 2023 - Journal of Applied Ecology - Wiley Online Library
  • Mixed effects of organic farming and landscape complexity on farmland biodiversity and biological control potential across Europe - Winqvist - 2011 - Journal of Applied Ecology - Wiley Online Library
  • wwf-studie-vielfalt-auf-den-acker-zusammenfassung.pdf
  • Mehrjährige Blühflächen in Durmersheim - NABU Baden-Württemberg



Quelle: Merlin Fleischhauer, Grüne Reichelsheim vom 05.03.2024



Meldung von www.alexanderhitz.de