Reichelsheimer Nachrichten

Meldung vom 02.02.2024

Reichelsheimer Klimabrief: Was bedeutet eigentlich Kulturlandschaft?

Mit dem 'Reichelsheimer Klimabrief' wollen die GRÜNEN Reichelsheim das Bewusstsein für die Erderwärmung und den Klimawandel speziell in der Stadt Reichelsheim stärken und mit interessierten Mitbürgern in die Diskussion gehen. Feedback nehmen die GRÜNEN gerne unter gruene-reichelsheim@web.de entgegen.

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Von Merlin Fleischhauer

Die Landwirtschaft steckt tief im Dilemma zwischen Geldverdienen und Erhalt von Land und Natur. Tierschützer, Veterinäre, Biologen, Wasserversorger, Klimaforscher und sehr viele Landwirte selbst fordern seit Langem ein Umdenken, vor allem ein Umlenken der milliardenschweren Subventionen in Richtung Umwelt-, Klima- und Landschaftsschutz.

Die Bauern' gibt es ja ohnehin nicht, wie alles, was man nicht über einen Kamm scheren kann und sollte. In unserer Gesellschaft ist der Landwirt ja eher ein Buhmann. Er verpestet die Umwelt, er geht schlecht mit seinen Viechern um, alles, was negativ ist, kann man in die Richtung der Bauern schieben. Aber ist das richtig?

Die Statistik: Kleine Höfe, die von der Landkarte verschwinden, einer nach dem anderen. Die Kleinen müssen kämpfen. Etwa Familienbetriebe mit Hofladen, Bienenhonig, Eiern, vielleicht noch Nudeln. Nur kann davon keiner leben, wenn die EU die meisten Zuschüsse nach Fläche verteilt. Und wohin sollen die ganzen Subventionen eigentlich führen? Agrarwissenschaftler sagen, natürlich gäbe es Möglichkeiten, die Gelder anders zu verteilen.

Etwa die Förderung durch die Politik nach Bedürftigkeit, eine Art Agrarsozialpolitik. Damit kämen zur Abwechslung mal die Kleinbauern besser weg, nicht immer nur die Großbetriebe und Konzerne.

Oder die Politik fördert stärker, wer sein Vieh gut behandelt, das Grundwasser schont, sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach schraubt. Denn wenn wir die Umwelt schonen und mehr Tierwohl durchsetzen wollen, dann sollte weniger nach Hektar verteilt werden, sondern nach Kriterien, die eben auf Umweltschutz und Tierwohl abzielen.

Die Landwirtschaft, die sich viele wünschen, also der Bauernhof, auf dem die Hühner scharren und die Kühe grasen, radiert das aktuelle Subventionssystem nach und nach aus. Und weil die Bauern gerade so rabiat gegen die Ampel pöbeln, ist doch die Frage, ob die Regierung davor es eigentlich besser wusste, oder besser machte.

Von 2005 an, als Merkel Kanzlerin wurde, bis Ende 2021 haben sich die bäuerlichen Betriebe insgesamt knapp halbiert. Von den fünf Landwirtschaftsministern unter Merkel waren übrigens vier von der CSU. Das schreibt gerade niemand auf Plakate, aber dafür tut die CSU mal wieder so, als wäre sie die Schutzheilige der geplagten Bauernschaft.

Und auch die AfD fährt bei den Protesten nur zu gern mit. Was sie für die Bauern tut? Aus ihrem Grundsatzprogramm: 'Landwirtschaft: Mehr Wettbewerb. Weniger Subventionen.' (Seite 88). Aha.

Und zum Situationsbericht des Deutschen Bauernverbands, Seite 174: Die Landwirte fuhren zuletzt Rekordergebnisse ein, die Jahresgewinne stiegen bei den Haupterwerbsbetrieben im Schnitt auf 115 400 Euro. Im Jahr davor waren es knapp 80 000 Euro. Macht 45 Prozent Gewinnsteigerung. Oder gleich auf Seite 4, da ist sogar von einem 'Allzeithoch' die Rede. Endlich auf Seite 164 fällt auch mal das Wort Agrardiesel und wie wichtig eine Subventionierung für die Wettbewerbsfähigkeit ist.

Aber mal ehrlich: Die Sache mit dem Agrardiesel und der Kfz-Steuer, die ohnehin schon wieder kassiert wurde, ist das wirklich der Grund für diese Wut? Oder eher der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt?

Rechenbeispiele von Agrarökonomen wie Sebastian Lakner von der Uni Rostock sagen, dass einem kleinen Betrieb, 18 Hektar, Kategorie Urlaub auf dem Bauernhof, ein Verlust ab 2026 von ungefähr 470 Euro pro Jahr ins Haus stünde. Bei einem großen Betrieb, 164 Hektar, sei der Verlust von 2026 an etwa 4300 Euro pro Jahr.

Ein paar Tausend Euro können wehtun, schon klar. Es ist aber auch nicht so, als wäre die Landwirtschaft in Deutschland akut bedroht.

Es sind ja auch nicht alle unzufrieden und es haben auch nicht alle die gleichen Interessen. Studien zum Reformwillen innerhalb der Landwirtschaft deuten darauf hin, dass es mindestens drei Gruppen gibt: ein konservatives, allen Reformen eher abgeneigtes Milieu, das nichts ändern will, ein marktliberales und wettbewerbsorientiertes Milieu, das sagt, sinnvolle Angebote, die sich rechnen und mit denen sich planen lässt, können angenommen werden. Diese Landwirte möchten tendenziell am Markt verdienen. Und dann gibt es ein Nachhaltigkeits- und Umwelt-affines Milieu. Hier werden Umweltmaßnahmen bereits durchführt. Daten von Agrarökonomen deuten darauf hin, dass jede dieser Gruppen etwa ein Drittel ausmachen könnte. Das konservative Milieu scheint etwas kleiner, das marktliberale Milieu wohl am größten.

Aber allesamt sind sie vom veränderten Klima betroffen.

Der Klimawandel ist abstrakt, auch wenn Landwirte dessen Auswirkungen bereits seit Längerem bemerken, veränderte Wetterlagen, längere Dürreperioden. Die Bauern stellen sich ja die gleichen Fragen wie die restliche Gesellschaft, 'was kann ich alleine ausrichten' oder 'wie finanziere das alles', statt 'was kann ich zur Lösung der Klimakrise beitragen'?

Dabei hat gerade die Landwirtschaft ein riesiges Treibhausgasproblem, etwa durch Feuchtwiesen und Moorflächen, die in Weide- und Ackerland umgebaut wurden. Aus diesen Flächen, die nur etwa fünf Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland ausmachen, stammen aber 35 Prozent aller Treibhausgase, die insgesamt in der Landwirtschaft anfallen. Derzeit wird aber nach wie vor die Landwirtschaft auf entwässerten Flächen gefördert. Wiedervernässung ist teuer und es stellt sich die Frage, was man auf dieser Fläche dann noch produzieren kann. Gerade hier brauchen Landwirte eine langfristige Planbarkeit, wenn sie solche Flächen wiedervernässen und damit die aktuelle Nutzung aufgeben.

Die Förderung für Agrardiesel ist natürlich kein Zukunftsmodell und das Auslaufen sollte auf europäischer Ebene abgestimmt sein. Insgesamt muss ein klarer Plan der Transformation erkennbar sein. Das macht die aktuelle Bundesregierung nicht gut. Allerdings: Die Vorgängerregierungen taten einfach gar nichts. Außer CSU Landwirtschaftsminister Schmidt, der mit seinem Alleingang, entgegen Abstimmung mit Merkel zuvor, dafür sorgte, dass Glyphosat weiterhin in der EU erlaubt ist, während in den USA ein Kläger nach dem anderen gegen Hersteller Bayer, ehem. Monsanto, gewinnt.

Da also einige gut am jetzigen System gut verdienen, reichte die Kürzung der Agrardiesel-Subvention, um einen Proteststurm auszulösen.

Einerseits sollen die Bauern Spitzenqualität anbauen, andererseits muss es möglichst billig sein: Handel, Molkereien und Schlachthöfe machen Druck. Verbraucherinnen und Verbraucher haben hohe Ansprüche, sind aber oft nicht bereit, dafür auch mehr zu zahlen. Das ist die Schlinge, in der unsere Landwirte stecken. Sie sollen den Boden so bewirtschaften, dass auch morgen noch Landwirtschaft möglich ist, dies aber zu Bedingungen eines gnadenlosen Wettbewerbs.

Dem Land, das sie bewirtschaften, geht es kaum besser als den Landwirten selbst. Ammoniak-Emissionen aus der Tierhaltung bedrohen die Ökosysteme. Jede sechste Messtelle im Land meldet überhöhte Nitrat-Werte im Grundwasser. In Ställen stehen kranke Schweine und lahmende Kühe. Auf den Äckern regieren Weizen, Mais, Gerste und Raps, aber viel zu wenig Wildkräuter. Der Anteil wichtigen Grünlands schrumpft, und die Feuchtwiesen und Moore verdursten. Viele Tier- und Pflanzenarten gibt es nur noch auf der Roten Liste.

Landwirte arbeiten mit der Natur, aber viel zu häufig nicht im Einklang mit ihr. Sie sind aber nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Viele Anreize es besser zu machen gibt es nicht, denn der Markt belohnt die, die aus Böden und Ställen möglichst viel herauspressen. Mit mehr Markt und weniger Umwelt-Auflagen ist den Landwirten, dem Land und der Gesellschaft aber nicht geholfen. Dies drängt die Bauern nur noch weiter an die Wand. Es warten stetig weiter degradierte Böden, immer schwerer belastetes Grundwasser und ein Verlust natürlicher Bestäuber, von den miserablen Bedingungen in vielen Ställen ganz zu schweigen. Das alles in Zeiten, in denen Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Artensterben zunehmend Tribut fordern werden. Sowohl die ökologische, als auch die ökonomische Seite der Rechnung muss aber aufgehen - sonst gehen entweder die Bauern unter oder das Land, das sie bewirtschaften und damit wir alle.

Wer also mit seiner Hände Arbeit dazu beiträgt, dass dieses Land mit seinen Weiden, Äckern, Wäldern und Gewässern ein lebenswerter Ort bleibt, soll dafür entlohnt werden, also öffentliches Geld für öffentliche Leistung bekommen. Wer seine Tiere unter würdigen Bedingungen hält, verdient Unterstützung. Denn an Geld mangelt es ja bei den Subventionen für die Landwirtschaft nicht, es muss nur anders verteilt werden. Nicht mehr - wie ein Großteil der EU-Agrarmilliarden - nach Fläche, sondern nach Leistungen für die Allgemeinheit.

Auch viele Landwirte wünschen sich das. Keiner von ihnen will Tieren oder Böden Schlechtes. Aber jeder will auch wirtschaftlich überleben. Oft geht beides nicht zusammen. Viele geben auf und überlassen ihr Land anderen, die auf noch größeren Flächen noch intensiver wirtschaften. Investoren ohne großen Bezug zu dem, was sie da bewirtschaften. Das verspricht keine gute Zukunft.

Der Satz "Die Flächenstillegung kostet unnötig Ertragskraft" von Christian Lindner erklärt Brachflächen für überflüssig, ein Frontalangriff auf die ohnehin mickrigen Errungenschaften des Naturschutzes in Deutschland. Das hinterlässt Fassungslosigkeit und verdeutlicht einmal mehr Unwissen, Ignoranz und die Tatsache, dass Natur- und Artenschutz in Deutschland immer als Erstes geopfert werden. Das ist armselig. Genauso armselig wie das Verhalten von Agrarminister Cem Özdemir, als er den Landwirten im Sommer 2022 wegen des Kriegs in der Ukraine erlaubte, Getreide, Sonnenblumen und Hülsenfrüchte auf Flächen anzubauen, die bereits für den Artenschutz reserviert waren.

Keine Frage, die Ernährung der Menschen zu sichern ist eine wichtige Aufgabe der Bauern. Die Herausforderung muss aber sein, dieses Ziel auf nun einmal begrenzter Fläche mit Artenschutz und Klimaschutz in Einklang zu bringen, da von diesen Faktoren das Überleben der Menschen ebenso abhängig ist.

Bauern sind Unternehmer, die wirtschaftlich handeln müssen. Stellt man sie vor die Wahl zwischen Gewinn und Umweltschutz, entscheiden sich natürlich die meisten für das Geld. Aber viele haben auch einen besonderen Bezug zur Natur.

Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Statt Agrardiesel und intensive Landwirtschaft zu subventionieren, sollten die Landwirte Geld bekommen, wenn sie umweltfreundlich wirtschaften. Viele würde das überzeugen, wie wir aus persönlichen Gesprächen wissen.

Der Weg, den die Agrarpolitik der Bundesrepublik in den vergangenen sieben Jahrzehnten genommen hat, führt in eine Sackgasse und in ein Land, das niemand mögen wird. Dass Landwirtschaft nicht einfach ist, sollte bekannt sein. Und Politik bürokratisiert, was sich nicht immer bürokratisieren lässt: die Natur.

Da war zum Beispiel der Bauer, der bis zum Stichtag im März seine Wiese nicht walzen konnte, zu nass. Danach darf er sie aber nicht mehr walzen, wegen der Vögel, die in der Wiese brüten. Da war die Bäuerin, auf deren Acker bis zum Stichtag im November das Winterkorn sprießen muss laut EU-Vorschrift. Es spross aber nicht, zu trocken.

Also auch wenn man sich nicht bei allem einig ist, gelingt es im direkten Gespräch mit Landwirten sehr oft, Verständnis für die meisten Positionen zu gewinnen. Die Rolle der Artenvielfalt, der auch für uns Menschen überlebensnotwendige Schutz der Biodiversität, die Realität des Klimawandels und die lokalen Stickstoffüberschüsse sind lange bekannt und mit vielen Studien belegt. Das Klischee vom wütenden Bauern ist übrigens ebenso sehr oder wenig zutreffend wie das vom faulen Lehrer. Diese Klischees werden in der Regel genutzt, um Berufsgruppen je nach gusto zu diffamieren. Die Realität ist komplex und wir möchten für einen respektvollen Umgang miteinander werben. Denn in persönlichen Gesprächen erleben wir oft gegenseitige Wertschätzung und eine Dorfgemeinschaft funktioniert nur, wenn all ihre Bestandteile dies auch so empfinden.

Größer gesehen: Die Aufgabe der Landwirte für dieses Land sollte klar sein. Sie bewirtschaften eines der wertvollsten Güter, die ein Land zu bieten hat: seine Böden. Sie tragen damit Verantwortung für das Gesicht Deutschlands und für seine Zukunftsfähigkeit. Und sie verdienen dafür einen Lohn, der sich an ihren Leistungen für die Gesellschaft bemisst.

Fazit: Der Ausdruck von der Kulturlandschaft sollte also mit mehr Vorsicht gebraucht werden, denn was für eine Kultur soll das sein, wo kein Vogel mehr singt, kaum eine Hecke blüht, wo sich in leergeräumter Kulisse eine Monokultur an die andere reiht? Jedenfalls keine die erhaltens- oder erstrebenswert ist. Ein Land, eine Landschaft ist etwas, dass alle Menschen, die dort wohnen, miteinander teilen. Die einen bewirtschaften das Land, die anderen leben ebenfalls dort und haben andere Aufgaben und Berufe in dieser arbeitsteiligen Gesellschaft und genauso sollten alle Seiten sich begegnen, mit beiderseitigen Rechten und Pflichten, gegenseitigem Wohlwollen und Respekt, denn beide Seiten können nicht ohne einander.


Quellen:
Dr. Michael Wibbe, Landwirtschaft und Bodennutzung, Fraunhofer Institut
Prof. Sebastian Lakner, Uni Rostock, Veröffetlichte Abstracts
Eigene Quellen


Text: Merlin Fleischhauer, Grüne Reichelsheim vom 02.02.2024



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