Reichelsheimer Nachrichten

Meldung vom 12.12.2023

Reichelsheimer Klimabrief zum Jahresende: Silvesterbräuche

Mit dem 'Reichelsheimer Klimabrief' wollen die GRÜNEN Reichelsheim das Bewusstsein für die Erderwärmung und den Klimawandel speziell in der Stadt Reichelsheim stärken und mit interessierten Mitbürgern in die Diskussion gehen. Feedback nehmen die GRÜNEN gerne unter gruene-reichelsheim@web.de entgegen.

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Von Merlin Fleischhauer

Es gibt so schöne Silvesterbräuche. Italienerinnen tragen zum Jahreswechsel rote Unterwäsche, das soll Reichtum und Liebesglück bringen. In Spanien essen die Leute um Mitternacht zwölf Weintrauben, bei jedem Glockenschlag eine, jede Traube steht für einen Wunsch. Dänen hüpfen von einem Stuhl ins neue Jahr. In der Türkei werfen die Menschen Granatäpfel vom Balkon - je weiter sich die roten Kerne verteilen, desto besser wird angeblich das neue Jahr. Und in Deutschland? Da wird erst sehr viel fettiges Essen verschlungen, sehr viel Alkohol getankt - und dann verwandelt sich die Stadt in eine Art Kriegsschauplatz.

Paramilitärisch ausgerüstete Männer haben diesen Moment generalstabsmäßig geplant (pyromanisch veranlagte Frauen gibt es auch, aber eher selten). Sie bringen Heuler, Wirbler und Böller in Stellung, bauen Brückenköpfe aus leeren Bierkästen und schätzen die Flugbahn der Raketen strategisch ab. Krieg, Klimawandel, Umweltkatastrophen, Inflation, Energiekrise? Egal, schieß drauf.

Aber ist es angesichts der Weltlage noch vertretbar, an Silvester Raketen in den Nachthimmel zu schießen? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Feuerwerk ist teuer, laut und komplett sinnlos, sagen Kritiker. Die Argumente der Befürworter: Feuerwerk ist teuer, laut und komplett sinnlos.

Zur Faszination des Feuerwerks gehört eben, dass es keinen praktischen Zweck hat, sondern Krach macht und bunt glitzert.

Silvester ist in erster Linie ein Großbesäufnis mit ohrenbetäubenden Lichterscheinungen, aber für distanzierte Beobachter auch ein Indikator für Wertewandel. Bestimmte Bevölkerungsgruppen wenden sich aus ethischen Gründen von der Böllerei ab, während sich andere Gruppen im Netz zu Protestbewegungen wie 'Böllern gegen Greta' zusammenrotten. Schlüsselbegriffe bei dieser Diskussion sind Verzicht und Verlust, nach dem Motto: Die da oben wollen uns jetzt auch noch das Böllern verbieten? Jetzt erst recht!

Droht durch Böllerverbote der Tod eines immateriellen Kulturgutes, wie Pyrotechnik-Verbände befürchten? Aber sind Produkte wie 'Thunder King Bombenrohr', 'Detonator Multikaliber Batterie' und 'Zeus Special Böller' wirklich Kulturgut? Und wenn, welche Kultur sollte das sein und ist diese erhaltenswert?

Die Hauptproduzenten der Feuerwerkskörper sind Indien und China. Mit ihrer Produktion decken sie 97 Prozent des Weltmarktes ab.

Die Zustände in den Fabriken vor Ort sind oft katastrophal: Die Arbeiter haben Brandnarben im Gesicht, verätzte Hände, ihre Fingernägel fallen ab. Viele leiden unter Krankheiten wie Asthma, hervorgerufen durch den direkten Kontakt mit chemischen Substanzen wie Schwefel, Schwarz- und Aluminium-Pulver. Besonders schlimm: In der Feuerwerksindustrie arbeiten nicht nur Erwachsene für Niedriglöhne - sondern auch Kinder.

Die Deutsche Umwelthilfe, die Bundesärztekammer, die Gewerkschaft der Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehren und Tierschutzverbände fordern ein umfassendes Böllerverbot. Die ungeregelte Knallerei passt einfach nicht mehr in unsere Zeit. Sie ist schlecht für Menschen, Umwelt und Klima und führt immer wieder zu schweren Verletzungen.

Viele Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr Verletzungen des Innenohres durch explodierende Feuerwerkskörper, hinzu kämen Verletzungen am Auge und an den Händen sowie Verbrennungen. Das bedeutet eine starke zusätzliche Belastung für die Kliniken, die ohnehin am Limit arbeiten. Zudem sollte man doch angesichts der Kriege überall dankbar sein, dass bei uns nicht geschossen wird. Retraumatisierungen von Geflüchteten sind nicht auszuschließen, manche erinnern sich an Großväter, die Silvester begannen zu zittern.

Nicht jeder, der es an Silvester knallen lässt, ist unbedingt eine Umweltsau und ein Kriegsbefürworter, aber die Entwicklung zum Breitensport mit Straßenkampfcharakter ist ja nicht zu übersehen. Was früher ein durchgeknallter Luxus für Reiche und Adelige war, gibt es nun beim Discounter in der Großpackung zu 39,90 Euro. Während manche Gesellschaftsmilieus zunehmend aufs Feuerwerk verzichten, aus Umwelt- und Tierschutzgründen oder weil sie es schlicht ballaballa finden sinnlos Geld zu verpulvern, lassen andere es gerade richtig krachen - aus Trotz.

Bilder der Verwüstung, Sprengkörper im Wert von geschätzten 120 Millionen Euro werden innerhalb kurzer Zeit in die Luft gejagt, zurück bleiben tonnenweise Müll und Schadstoffe. Die Feinstaubbelastung steigt in der Silvesternacht um ein Vielfaches an. Und nicht nur Menschen werden verletzt, auch Tiere leiden: Hunde und Katzen verkrümeln sich zitternd in irgendwelche Ecken, Pferde und Kühe durchbrechen panisch Zäune, Vögel und Wildtiere können tagelang nicht fressen. Feuerwerk wird vor allem für Vögel tatsächlich zu einer Gefahr: Rauchschwaden und die hellen Leuchtraketen können zu Desorientierung bei den Vögeln führen, ihnen die Sicht nehmen und sie blenden, so dass sie Hindernissen nicht mehr rechtzeitig ausweichen können. Es dauert häufig Tage oder sogar Wochen, bis sich die Tiere von diesem Schock erholt haben. Schlimmstenfalls erleiden Vögel ein Explosions- oder Knalltrauma. Das Trommelfell und das Innenohr können verletzt werden, was zur Flugunfähigkeit und damit zum Tod führt.

Eine große Mehrheit der Deutschen ist mittlerweile für ein generelles Verbot der Knallerei.

Als Alternative zur privaten Pyromanie bieten sich organisierte Großfeuerwerke an, Lasershows können das ungesteuerte Feuerwerk ersetzen und vielleicht setzt sich auch der Gedanke durch, dass Solidarität für eine Gesellschaft wichtiger ist als die individuelle Freiheit beim Böllern. Denn klar sollte sein, dass die Freiheit des Einen bei der Einschränkung der Freiheit des Anderen aufhört; im übertragenen Sinne bedeutet das schlicht: Rücksichtnahme. Denn: Ohne gegenseitige Rücksichtnahme kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.

Wir wünschen schöne und vor allem friedliche Feiertage. Lasst uns dankbar sein dafür dass es bei uns friedlich ist und Rücksicht auf den Frieden der Nachbarn nehmen, die vielleicht lieber ruhig feiern möchten oder womöglich im Rufdienst der Rettung oder der Feuerwehr stehen und dafür lieber einen frühen Neujahrsspaziergang am 01.01.2024 unternehmen.


Text: Merlin Fleischhauer, Grüne Reichelsheim vom 11.11.2023



Meldung von www.alexanderhitz.de