Reichelsheimer Nachrichten
Meldung vom 27.11.2019
Reichelsheimer Landwirte demonstrieren mit Mahnfeuer gegen Agrarpaket
Rund drei Dutzend Traktoren stehen mit eingeschaltetem Blinklicht parallel zur Landstraße zwischen Reichelsheim und Weckesheim. Daneben lodert im leichten Nebel ein großes Mahnfeuer. Ein Bild irgendwo zwischen 'gespenstisch' und 'Ehrfurcht'. Wie viele Teilnehmer gekommen sind, lässt sich im Dunkeln nur schwer schätzen. Es dürften aber weit über 100 Personen gewesen sein.
Reichelsheim/Berlin - Mit 8.600 Traktoren und rund 40.000 Teilnehmern protestierten Deutschlands Landwirte am Dienstag beeindruckend in der Bundeshauptstadt Berlin. Mit dabei sind auch Reichelsheimer Landwirte wie Herwig Marloff. Sie alle wollen nicht länger die 'Buhmänner' der Nation sein. Geschlossen demonstrieren sie gegen das aktuelle Agrarpaket der Bundesregierung. Die Themen, welche die Landwirte dabei bewegen sind unterschiedlicher Natur. Es geht ihnen beispielsweise um die übermäßige Bürokratie, die Überprüfung und Standardisierung der existierenden Nitratmessstellen, sowie die neutrale Erforschung des Insektenrückgangs. Ein wesentlicher Punkt sind vor allem die kleineren Betriebe, die dem Druck der politisch geschnürten 'Pakete' nicht mehr Stand halten können und den Betrieb aufgeben müssen. Die Landwirte fordern eine nachhaltige Politik, damit ihre Kinder die Chance haben, den Betrieb in einer weiteren Generation fortführen zu können.
Bereits vor einigen Tagen hatte die Zeitschrift 'top agrar' die Forderungen der Landwirte veröffentlicht. Darin stand folgender Wortlaut:
'Wir Landwirte denken in Generationen, nicht in Kampagnen! Wir stehen für Insekten- und Naturschutz, für sauberes Grundwasser und gesunde Lebensmittel. Wir betreiben klimaschonende Landwirtschaft. Wir deutschen Bauern produzieren zu den weltweit höchsten Standards und wir verwehren uns ausdrücklich gegen das negative Bild der Landwirtschaft, das immer wieder in der Öffentlichkeit gezeichnet wird.
Das von den Ministerinnen Klöckner und Schulze präsentierte 'Agrarpaket' wurde überstürzt mit heißer Nadel gestrickt. Es gefährdet nicht nur unsere landwirtschaftlichen Betriebe, sondern ist auch eine Gefahr für die regionale Lebensmittelproduktion und für den Erhalt der ländlichen Räume. Das möchten wir verhindern und deshalb gehen wir auf die Straße und fordern einen Dialog zu folgenden Punkten:
- Das Aussetzen des Agrarpakets und ergebnisoffene Neuverhandlungen.
- Einheitliche Richtlinien für die Landwirtschaft in der gesamten EU. Keine deutschen Alleingänge.
- Die neutrale Erforschung des Insektenrückgangs - trotz oder wegen immer stärkerer Auflagen? Welchen Anteil haben z.B. LEDs, Mobilfunkanlagen, Windräder, Flächenversiegelung daran?
- Die unabhängige Überprüfung der Nitrat-Messstellen sowie die Anzahl der Messpunkte auf einen europaweiten Standard auszuweiten, den Anteil an beispielsweise kommunalen und industriellen Nitrateinträgen ins Grundwasser zu ermitteln und ebenfalls zu berücksichtigen.
- Importierte Waren, die nicht dem EU-Standard entsprechen, als solche zu kennzeichnen. Ebenso die Herkunftskennzeichnung bei Rohwaren und verarbeiteten Lebensmitteln.
- Bei politischen Entscheidungen zu Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen, den Erhalt der regionalen Lebensmittelproduktion in den Vordergrund zu stellen und zu stärken.
- Anstatt neue Tierwohllabel zu entwickeln, die bestehenden zu fördern und weiterzuentwickeln.
- Dass gesellschaftliche Wünsche wie z.B. mehr Tierwohl, extensivere Bewirtschaftung (und damit geringerer Ertrag und Gewinn), die Ausbreitung der Wölfe und Umweltmaßnahmen finanziell von der Gesellschaft getragen werden.
- Die Bürokratie und Dokumentationspflicht zu vereinfachen.'
Mit einem Mahnfeuer unterstützen
In Reichelsheim hatten die Landwirte Martin Schäfer und Torsten Rieß federführend die Organisation des Mahnfeuers übernommen. Über soziale Medien hatten sie mit ihren Kollegen dazu eingeladen. Ab 17 Uhr reihten sich dann rund drei Dutzend Traktoren mit gelben Blinklichtern an der Landstraße zwischen Reichelsheim und Weckesheim auf. Ein großes Feuer wurde entzündet. Bei heißen Getränken und Würstchen, die gegen eine Spende ausgegeben wurden, lauschten die Teilnehmer aus Reichelsheim und den umliegenden Orten Landwirt Karlheinz Rieß. Er trug von einem Wagen aus die Gründe für die bundesweite Demonstration und die Forderungen der Landwirte vor. Mit dem Mahnfeuer haben sich die Reichelsheimer Landwirte mit vielen anderen Regionen Deutschlands dem Aufruf angeschlossen, die Berliner Demonstration regional vor Ort zu unterstützen.

Karlheinz Rieß verliest die Forderungen der Landwirte.
Viele Auflagen
Doch ganz so einfach war es für die Organisatoren nicht. Der Standort an der Landstraße war durchaus gut gewählt, so dass viele Pkw-Fahrer und Bahnpendler die Veranstaltung im Feierabendverkehr wahrnehmen konnten - viele Fahrzeuge hupten zustimmend bei vorbeifahren. Allerdings mussten dafür auch viele Auflagen erfüllt und eine Demonstration beim Wetteraukreis angemeldet werden. Parkplätze, Ordner und Einweiser mussten organisiert werden. Auch ein Brandsicherheitsdienst durch die örtliche Feuerwehr war vom Ordnungsamt der Stadt Reichelsheim angeordnet worden. Dadurch entstanden auch Kosten, mit denen die Organisatoren nicht gerechnet hatten. Die Landwirte hoffen nun, dass die Spenden, die in der aufgestellten Spendenwutz gesammelt wurden, die Kosten decken. Sie versprachen, überschüssige Beträge den Reichelsheimer Kindergärten zukommen zu lassen.
Großes Interesse
Das Interesse an der Veranstaltung ist groß. Neben den Landwirten haben auch viele Bürger einen Feierabendspaziergang unternommen und sind zum Mahnfeuer gekommen. Auch Reichelsheimer Politiker und Stadtverordnetenvorsteherin Lena Herget waren dabei und gingen in den Dialog mit den Landwirten.
Kurzberichte und Bilder von der Veranstaltung in den sozialen Medien werden von Zehntausenden angeschaut, bundesweit geteilt und bekommen hunderte 'Likes'.

Das Interesse ist groß: Unsere Bilder auf Facebook wurden innerhalb eines Tages über 24.000 Mal angeschaut und rund 100 Mal auf anderen Facebook-Seiten geteilt.
Quelle: AlexanderHitz.de vom 27.11.2019