Reichelsheimer Nachrichten

Meldung vom 17.09.2014

Bürgermeisterwahl: Mehr Mut, Energie und Herz!

Wahlkampf in Reichelsheim? Nun ja, der »Kampf« hält sich in Grenzen, reden wir lieber von drei Kandidaten, die sich um ein Amt bewerben. Am Montagabend stellten sie sich bei der Podiumsdiskussion der Wetterauer Zeitung im Bürgerhaus den Wählern. Heftige Wortgefechte blieben aus, jedoch konnten sich die Bürger einen Eindruck von ihren Favoriten verschaffen.


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Keiner zieht den Joker (von links:) Martin Welti, Moderator David Heßler, Bertin Bischofsberger, Moderatorin Laura Kaufmann und Holger Strebert.

Bertin Bischofsberger (55) hält sich für mutig, menschlich, kompetent, Holger Strebert (53) will für neue Energie in der Stadt sorgen und Martin Welti (56) verspricht, natürlich mit Herz und Verstand zu amtieren. Die Ziele des von CDU und Freien Wählern unterstützten Amtsinhabers und seiner zwei Herausforderer - Strebert wird von der SPD unterstützt, Welti ist Grünen-Fraktionsvorsitzender -, sind weitgehend austauschbar: Infrastruktur stärken, Vereine unterstützen, Ganztagsbetreuungsangebot schaffen. Was Bürgermeisterkandidaten ebenso sagen. Große Konflikte gibt es nicht, und wenn, dann werden sie nicht nach außen getragen. Man läuft sich ja ständig über den Weg, da ist Zurückhaltung angesagt.

Entscheiden wird am Ende die persönliche Einschätzung: Wen hält man für am fähigsten, die Geschicke der Stadt Reichelsheim in den nächsten sechs Jahren zu lenken? Die Podiumsdiskussion der WZ, moderiert von Laura Kaufmann und David Heßler, bot den rund 300 Besuchern - vorwiegend aus der Altersklasse »50 plus« und aufwärts - Gelegenheit, diese Frage für sich zu beantworten. Es galt, sich selbst ein Bild von den Kandidaten zu machen. Wie verkaufen sie sich, wie wirken sie, wie schlagfertig sind sie? Nervös waren sie alle und alle haben sie sich gut geschlagen. Da es laut dem schottischen Philosophen Connor MacLeod aber nur einen geben kann, wird am 28. September gewählt. Dann wissen wir mehr.

Das Wunder von 2008


Besonders bei der Vorstellungsrunde war eine gewisse Anspannung nicht zu übersehen. Der eine reagierte eher wortkarg auf die Eingangsfrage, der andere bemüht redselig und der dritte hatte sein Statement auswendig gelernt. Amtsinhaber Bischofsberger, als Zugezogener 2008 mit sehr knapper Mehrheit gewählt, tourt im gelben »Guido-Mobil« (Kaufmann) durch die Stadtteile, will aber deutlich mehr Prozente als die FDP holen, nämlich »über 50«. Der in Dorn-Assenheim lebende Bürgermeister hofft, das »Wunder« von vor sechs Jahren werde sich wiederholen. Strebert, seit acht Jahren Stadtverordnetenvorsteher und Ausbildungsleiter bei der OVAG, präsentierte sich als Vereinsmensch, der über den Rand seines Heimatortes Weckesheim hinausblicken kann und selbst vor der Ice-Bucket-Challenge nicht zurückschreckt. Welti ist als IT-Fachmann skeptisch gegenüber Eacebook, weshalb er twittert. Zwölf Leute verfolgen seine Kurznachrichten, das ist nicht gerade viel, aber am Wahltag hofft der Grünen-Kandidat auf deutlich mehr Zuspruch. Welti hatte (passend zur eigenen Gesichtsbehaarung) eine Bartblume mitgebracht, ein »Symbol für die Entwicklung der Stadt«. Aus ein paar Meiern Abstand sah das violette Zierpflänzchen, doch recht karg aus, vielleicht eine dezente Anspielung darauf, dass es noch einiges zu tun gibt, um das unscheinbare Pflänzchen Reichelsheim erblühen zu lassen.

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Er bleibt Realist: Bertin Bischofsberger.
Dabei steht die Stadt gar nicht so schlecht da. Bischofsberger, der sich selbstsicher, souverän und geradezu staatsmännisch präsentierte, wusste zu berichten, dass Reichelsheim nach Karben die zweithöchsten Zuwachszahlen bei der Bevölkerung vorweisen kann. Und die Chemie stimme: Viele Bürger engagierten sich in Vereinen und sorgten für Stadt für ein Wir-Gefühl. Das war ein dickes Lob an die Wähler, dafür gab es auch viel Applaus. Bischofsberger ist Realist. Die Kita-Gebühren würden steigen (»Leistung muss bezahlt werben, aber es muss verträglich sein«). Gelinge es nicht, den Haushalt im nächsten Jahr auszugleichen, würden die Grundsteuern A und B erhöht. Für das Feuerwehrhaus in Heuchelheim sieht er gute Chancen einer Realisierung, warnt aber, dass die Kosten am Ende viel höher sein werden. Und dann überrascht er mit einem Satz, der für Wahlwerbebroschüren eher ungeeignet scheint: »Wenn das machbar ist, wird das wahrscheinlich gemacht. Wenn nicht, wird es wahrscheinlich nicht gemacht.« Er bleibt Realist: Anderes werde trotz der klammen Finanzen erledigt: »Derzeit gibt es günstige Zinsen. Was wichtig und notwendig ist, machen wir.« Das erkläre den Schuldenstand der Stadt.

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Wirtschaft als Chefsache: Holger Strebert.
Gibt es in der Stadt ein Wir-Gefühl? Ja, sagte Strebert, aber es müsse mehr mit den Leuten geredet werden. »Wir, sind die Stadt«, auch rief er in den Saal. »Sie alle brauchen wir.« Dort nämlich sitze viel Wissen und im Rathaus gebe es hervorragende Spezialisten. Dass er als Rathauschef einiges anders anpacken würde, machte er am Beispiel Wirtschaftsförderung deutlich: Das wird von mir zur Chefsache erklärt. Die Stadt braucht eine Schaltzentrale, das ist der Bürgermeister.« Strebert setzt in Sachen Einnahmen auf die Vermarktung eines kleinen Gewerbegebiets in Weckesheim und steht ganz klar zum Bau des Feuerwehrhauses in Heuchelheim: Wird das nicht gebaut, breche mit der Freiwilligen Feuerwehr auf kurz oder lang eine von zwei Säulen des Heuchelheimer Dorflebens zusammen (die andere ist der Landfrauenverein). Für den Brandschutz in der Stadt sei die auch notwendig, weiß der Feuerwehrmann. Auch Strebert wirkt souverän, gibt sich auch mal selbstkritisch, lässt dabei aber keinen Zweifel daran, dass er sich die Aufgabe im Chefsessel des Rathauses zutraut. Mit der Behindertenhilfe und dem VdK will er ein Betreutes Wohnen auf die Beine stellen. Die Kita-Öffnungszeiten will er flexibel gestalten und in den Ferien eine Einrichtung offen halten. »Wie seine Mitbewerber kommt auch er nicht um manche Phrase herum. »Kinder der sind das höchste Gut, das wir haben«, sagt Strebert. Das ist jetzt keine ganz so neue Erkenntnis, aber dafür gibt's viel Applaus.

»Stadtmarketing fehlt«


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Für Nachhaltigkeit: Martin Welti.
Beifall kann auch Welti einheimsen, zweimal so richtig viel. Einmal beim Thema Landverbrauch (»Wir gehen fahrlässig damit um, wir leben in einer uralten Kulturlandschaft«) und einmal, als er vorschlägt, die Stadt solle mehr auf sich aufmerksam machen. Amüsement rief sein Vorschlag hervor, die Stadt könne Halstücher drucken lassen, mit dem Logo der »Stadtkirche« drauf. Womit wohl die Laurentiuskirche gemeint war, die doch eher ein kleines, aber sehr schmuckes Dorfkirchlein ist. Längere Öffnungszeiten in den Kitas forderte Welti und die Stadt müsse die Grundschule am Ried bei der Ganztagsbetreuung unterstützen. Nur so sei es möglich, ein Angebot an fünf Tagen zu etablieren. Welti wirkte vernünftig, redsam, abgeklärt, hin und wieder ließ er durchblicken, dass im Rathaus einiges anders laufen könnte. »Oft fehlt es nicht nur am Geld, sondern auch an Ideen und an Fantasie.« Ein Leitbild für die Stadt vermisst er. »Das würde helfen, den Haushalt auszugleichen.« Es fehle auch ein Standortmarketing, die Stadt brauche mehr attraktive Standorte für »sanftes Gewerbe«, also Dienstleister aus der IT- oder Werbebranche, am besten am Flugplatz angesiedelt. Und als aktiver Feuerwehrmann steht auch für ihn glasklar fest, dass in Heuchelheim ein neues Gerätehaus gebaut werden muss.

Wo bleiben die Konflikte?


Und die Konflikte? Wortgefechte? Widerstreitende Meinungen? Laut den Spielregeln durfte jeder Kandidat einmal am Abend den Joker ziehen und direkt auf ein Statement eines Mitbewerbers antworten. Keiner machte davon Gebrauch. Immerhin gab es ein paar humorvolle Anmerkungen und auch kritische Wortmeldungen: Welti rügte, es gebe kein Leerstandskataster, im Parlament sei das vor zwei Jahren beschlossen worden, nichts sei geschehen. Bischofsberger widersprach: Das Kataster gebe es, liege es aber vor, sei es auch schon wieder veraltet. Das war's dann aber auch schon fast mit dem Konfliktpotenzial, Strebert punktete bei den Zuschauern mit dem Vorschlag, im Historischen Rathaus eine Café einzurichten, ansonsten erfuhr man, dass Reichelsheim und Florstadt gemeinsam eine Walze für den Bauhof angeschafft haben, sich ein gemeinsamer Bagger für Reichelsheim, Florstadt, Echzell, Wölfersheim und Ranstadt aber nicht rechne. Da stößt die »interkommunale Zusammenarbeit« offenbar an ihre Grenzen.

Apropos interkommunal: Die Biogasanlage - nach Meinung vieler vom Tisch, nach Meinung anderer noch nicht ganz - will keiner der drei Kandidaten an der Gemarkungsgrenze zu Dorn-Assenheim erbaut wissen. »Wenn, dann weiter weg in Richtung einer Nachbargemeinde«, sagte Strebert und erntete zustimmendes Lachen im Saal, wo auch Florstadts Bürgermeister Herbert Unger mitsamt einiger Amtskollegen saß. Bischofsberger will alles dafür tun, die Anlage an der Gemarkungsgrenze zu verhindern (»Dafür sollen sechs Hektar wertvoller Ackerboden verbraucht werden.«) und Welti hält zwar viel von Biogasanlagen, nichts aber von einer »Industrieanlage«, die jährlich von 240 mit holländischem Hühnertrockenkot beladenen Lkw angefahren wird. Welti: »Das Problem ist: Die Stadt Reichelsheim hat dagegen keine Einwände erhoben.« Auch er will die Anlage verhindern.

Und sonst? War das alles an Pulver, das im Wahlkampf verschossen wird? Deutlich wurde ein Zuschauer, der dem Bürgermeister für die letzten sechs Jahre die Note 3 gab, befriedigend. In der Schule mag das herzeigbar sein, aber in der Politik? Ein anderer Zuschauer hielt Bischofsberger für den einzigen, der die Wahl gewinnen könne. Die Anhänger der anderen Kandidaten dachten das möglicherweise auch von ihren Favoriten, hielten sich aber mit Wortmeldungen zurück und dachten sich wohl ihren Teil. Ein bisschen mehr Mut, Energie und Herz bei der Diskussion der drei Bewerber um den einen Job hätten dem Meinungsaustausch sicherlich nicht schlecht gestanden.

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Das Bürgerhaus in Reichelsheim ist mit rund 300 Personen gut gefüllt.


Quelle: Wetterauer Zeitung vom 17.09.2014
Bilder: Alexander Hitz



Meldung von www.alexanderhitz.de