Reichelsheim

Die Horlofftalbahn

Rückblick in die Entwicklung der Bahn aus Reichelsheimer Sicht

Zum 120-jährigen Jubiläum der Horlofftalbahn 2017 hat der Reichelsheimer Bürgermeister a.D. Gerd Wagner nachfolgenden Rückblick verfasst:


Am 3. Oktober 2017 feierte die Horlofftalbahn ihr 120 jähriges Bestehen. Welch ein Segen für unsere Region, dass es diese Bahn gibt. Grund genug, einmal in die schwierige Anfangszeit zurück zu blicken, war doch die Streckenführung Beienheim, Reichelsheim, Echzell, Nidda seinerzeit sehr umstritten.

Das Privileg begüterter Kreise

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Reisen, selbst in die nächste Stadt etwas ganz besonderes waren, etwas, was sich nur Wohlhabende leisten konnten. Gerade die Menschen auf dem Land blieben dort, wo sie geboren und verwurzelt waren, manche kamen ihr Leben lang nicht über die Grenzen ihres Kreises hinaus. Die Erfindung der Eisenbahn machte erstmals das Reisen zu einer Angelegenheit der Massen. Bis dahin reisten die Menschen zu Fuß, im Sattel oder im Pferdewagen. Jahrtausendelang hatte sich an dieser Fortbewegung kaum etwas geändert.

Die Entstehung des Schienengrundnetzes

1835 wurde die erste Eisenbahnverbindung zwischen Nürnberg und Fürth eingerichtet. 17 Jahre später erhielt die Kreisstadt Friedberg den Anschluss an die weite Welt. Die Main-Weser-Bahn als Teil der großen Nord-Süd Verbindung in Deutschland querte die Wetterau. 1869 ging die Strecke Gießen-Gelnhausen ans Netz. 1881 folgte Friedberg-Hanau, 1888 Nidda-Schotten. 1890 entstand die Verbindung Hungen-Laubach und 1897 die Jubiläumsstrecke Friedberg-Nidda/Hungen. Weitere Strecken folgten.

Der Kampf um die Streckenführung

Die Streckenführung der sogenannten "Secundärbahn" zwischen Friedberg-Hungen-Nidda war seinerzeit heftig umstritten. Bereits 1884 gab es Überlegungen, die Secundärbahn von Ranstadt nach Nieder-Wöllstadt zu verlegen. In einer gemeinsamen Eingabe an die "Hohe zweite Kammer der Stände des Großherzogtums Hessen" vom 25.02.1884 haben die Ortschaften Berstadt, Echzell, Bisses, Gettenau, Bingenheim, Reichelsheim, Blofeld, Leidhecken, Heuchelheim, Weckesheim, Beienheim und Friedberg heftig gegen diese geplante Streckenführung protestiert und sich für den seit 20 Jahren angestrebten Bau der Strecke durch die Wetterau in der Richtung von Norden nach Süden eingesetzt. Begründet wurde ihre Eingabe damit, dass "neue industrielle Etablissements, wie z. B. die Zuckerfabrik bei Friedberg, die Brikettfabrik bei Trais Horloff, der Versand von Mineralwasser des Römerbrunnens bei Grund-Schwalheim, die Erbauung einer Zuckerfabrik bei Echzell, die Brikettenfabriken in Dorn Assenheim und Weckesheim, von der neuen Bahnlinie erheblich profitieren werden. Sprecher der Gemeinden war seinerzeit der Reichelsheimer Bürgermeister Schmid. Ihre Bemühungen hatten Erfolg. In einem Gesetz vom 15.11.1890 wurde die Streckenführungen Friedberg-Hungen und Beienheim-Nidda als verbindlich festgeschrieben. Dem Grunderwerb und dem Bau stand somit nichts mehr im Wege. Da das Großherzogtum seinerzeit aber knapp bei Kasse war, wurden Überlegungen angestellt, erstmal nur eine der beiden Horlofftalstrecken zu bauen. Favorit war wohl die Strecke Friedberg-Hungen, was dann wieder die Anliegerkommungen der Strecke Beienheim-Nidda auf den Plan rief. Nach mehreren Versammlungen aller Bürgermeister im Jahre 1894 und Eingaben an die Staatsregierung konnte man erreichen, dass keine der beiden Strecken zurückgestellt wird und beide gleichzeitig errichtet werden. Ein Jahr später, 1895, wurde mit dem Bau der beiden Bahnstrecken begonnen. Die zahlreich benötigten Eisenbahnarbeiter kamen aus dem Fichtelgebirge, Bayern, dem Vogelsberg und der Wetterau.

Ein Freudentag für die Wetterau

1897 war es endlich soweit. Das Bahnzeitalter in der mittleren Wetterau hatte begonnen. Im Oberhessischen Anzeiger vom 02.10.1897 wurde berichtet: "Der gestrige Tag war ein Freudentag für einen großen Teil der Wetterau, brachte er doch die Eröffnung der neuen Bahnlinie Friedberg-Hungen und Friedberg-Nidda. Was die Bewohner der östlichen Wetterau seit langen Jahren ersehnt, erwünscht haben, ging also gestern in Erfüllung; sie sind jetzt an das Eisenbahnnetz angeschlossen, dem Weltverkehr näher gerückt". Sämtliche Stationsgebäude der beiden Linien waren festlich geschmückt und überall hatten sich Vereine, Schulen und Bewohner aufgestellt, um den Festzug mit Gesang und Musik zu empfangen. Besonders herzlich war der Empfang auf den Stationen Södel, Bellersheim, Echzell und Reichelsheim. Der Oberhessische Anzeiger berichtete seinerzeit, dass "seiner Exzellenz der Empfang in Weckesheim besonders gefallen habe, namentlich aber der Kranz blühender schöner Jungfrauen, welche die Gäste mit Blumen begrüßten".

Nach 60 Jahren erste Streckenstilllegungen

Bereits 60 Jahre nach Errichtung des Oberhessischen Bahnnetzes kam es zu den ersten Streckenstilllegungen. Mit dem zunehmenden Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen immer mehr Fahrgäste von der Bahn auf das Auto um. 1958 wurde die durchgehende Verbindung von Friedberg über Hungen nach Mücke und Alsfeld stillgelegt. 1959 folgte die Stilllegung der Strecke Nidda-Schotten. Im Jahre 1965 wurde der Sonn- und Feiertagsverkehr auf der Strecke Friedberg-Hungen eingestellt. 1983 war dann der Tiefpunkt erreicht; nur noch drei Zugpaare verkehrten auf dieser Strecke. Ende der achtziger Jahre sah es schlecht aus für die Bahnstrecke Friedberg-Nidda und insbesondere der Strecke nach Hungen. Ende 1989 wurde von der Bahn ein Umstellungsverfahren eingeleitet mit dem Ziel, den Schienenverkehr auf Busbetrieb umzustellen. Den Bemühungen der Arbeitsgemeinschaft Nahverkehr und ihres Vorsitzenden, dem Reichelsheimer Bürgermeister (siehe FR vom 17.10.1998), war es zu verdanken, dass das Umstellungsverfahren ausgesetzt und das Angebot 1994 wesentlich verbessert wurde. Die Strecke Friedberg-Nidda wurde mit einem Stundentakt ausgestattet, die besten Verbindungen in der 100-jährigen Geschichte dieser Bahnstrecke. Über 50.000 Menschen im Einzugsgebiet dieser Strecke kamen in den Genuss des verbesserten Angebotes. Möglich wurde dies durch das sogenannte Verzehrmodell. Zusätzliche Verkehrsleistungen wurden von der Bahn erbracht, dafür wurden von den Kreisen Wetterau und Gießen und den Anliegerkommunen mit Hilfe von Bundes- und Landeszuschüssen drei moderne Triebwagen der Baureihe VT 628 angeschafft. Die Verluste, die der Bahn durch die Mehrleistungen entstanden sind, wurden durch die Abschreibungen auf die Fahrzeuge aufgezehrt.

Erst umjubelt, dann von der Stilllegung bedroht, jetzt wieder unverzichtbares Verkehrsmittel. Welch eine Entwicklung. Alles Gute für die Horlofftalbahn in den kommenden Jahren!

Gerd Wagner



Quellen: Oberhessischer Anzeiger, Wetterauer Zeitung, Frankfurter Rundschau, Pressedienst Wetteraukreis, Stadtarchiv Reichelsheim, eigene Aufzeichnungen.



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